Arzneimittel im Alter: Wenn Details den Unterschied machen
Unsere Gesellschaft altert. Gerade ältere Menschen leiden unter verschiedenen Krankheiten und müssen oftmals mehrere Arzneimittel verteilt über den Tag einnehmen. Das stellt die Arzneimittelversorgung vor neue Aufgaben.
Gut 13.500 Alten- und Pflegeheime gibt es deutschlandweit. Und ihre Zahl steigt. Zum Vergleich: 2007 waren es erst 11.000. Denn die Gesellschaft in Deutschland altert. 2030 wird ein Viertel der Bundesbürger 67 Jahre oder älter sein, 2060 bereits fast ein Drittel.
Die Alterung betrifft auch die Pflege: 2015 waren 2,9 Millionen Menschen pflegebedürftig, bis 2060 werden es nach Schätzungen des Demografieportals der Bundesregierung bereits 4,8 Millionen sein. Die Pflegeeinrichtungen stellen sich darauf ein. Durch ein wachsendes Angebot und – idealerweise – spezifische Fortbildungen. Denn es müssen immer mehr ältere Menschen mit Mehrfacherkrankungen versorgt werden. So betont Maria Krause, Pflegewissenschaftlerin beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe: „Die Versorgung älterer und zunehmend multimorbider Patienten fordert von den Pflegefachpersonen neben hohem Zeitaufwand ein umfassendes pflegerisches und medizinisches Wissen.“
Medikamentengabe – so groß ist der Aufwand wirklich
Ein Thema, das im Alltag eine wichtige Rolle spielt, ist die Medikamentengabe. Denn was bei vielen Patienten in der Regel kein Problem darstellt, ist bei zunehmend älteren Heimbewohnern eine echte Hürde. Maria Krause: „Für körperlich eingeschränkte Pflegebedürftige zeigt sich die Schwierigkeit häufig im Richten der Medikamente. Das beginnt bei dem Erkennen, um welches Medikament es sich handelt. Aber auch das Öffnen von Tropfflaschen wird häufig als schwierig bis unmöglich erachtet.“
Die meisten Heimbewohner müssen täglich mehrere Arzneimittel einnehmen, und das in der Regel zu bestimmten Tageszeiten. Für die Bewohner von Seniorenheimen gewinnen deshalb Kombipräparate an Bedeutung. Denn mit zunehmendem Lebensalter erhöht sich das Risiko, an mehreren Krankheiten gleichzeitig zu leiden. Im Fachjargon heißt das Multimorbidität. Eine Studie des Robert-Koch-Instituts geht davon aus, dass rund 80 Prozent der Frauen ab 75 Jahren an zwei oder mehr chronischen Erkrankungen leiden. Bei Männern ist der Anteil etwas niedriger. Knapp 35 Prozent der Frauen und 26 Prozent der Männer ab 75 Jahren leiden sogar an fünf und mehr Erkrankungen gleichzeitig.
Wichtige Unterstützung bei der Medikamentenstellung im Seniorenheim bietet oft eine Partner-Apotheke. Sie verblistert beispielsweise alle Arzneimittel für die Woche. Verblistern, das heißt, dass die Apotheke für jeden Bewohner der Residenz kleine Tütchen mit Arzneimitteln packt. Eigentlich liefern Arzneimittel-Hersteller die Tabletten bereits in Blisterverpackungen. Für ältere Patienten, die viele Arzneimittel nehmen, sind diese aber nicht immer geeignet oder es ist zu viel Aufwand, jede einzelne Tablette separat zu entnehmen. Deshalb werden sie nochmals patientenindividuell verblistert. Das war nicht immer so. Pflegefachkraft Ramona Schulz, die im Sanatorium West der Familie Franke Seniorenresidenzen in Berlin arbeitet, hierzu: „Früher waren wir mehrere Stunden mit dem Stellen der Medikamente beschäftigt. Das nimmt uns die Apotheke heute ab, eine echte Erleichterung.“ Damit keine Fehler passieren, steht auf jedem Blister-Tütchen, welche Arzneimittel es enthält und wie diese aussehen.
Ältere Patienten leiden oftmals unter Schluckstörungen
Korrekt abgeben heißt aber noch lange nicht, dass die Arzneimittel auch eingenommen werden. „Schwierig ist es zum Beispiel, wenn Bewohner nicht mehr gut schlucken können. Es gibt viele Medikamente, die recht groß sind. Die bleiben ja selbst uns jüngeren Menschen schon manchmal im Hals stecken“, erläutert Schulz.
Gut die Hälfte aller Altenheimbewohner leidet unter Schluckstörungen. Die Tabletteneinnahme bereitet ihnen große Probleme, sie verschlucken sich leicht oder bekommen einen Würgereiz. Für die Versorgung ist das ein echtes Problem, denn oft versuchen die Patienten deswegen teilweise auf die Einnahme von Medikamenten zu verzichten.
Aber nicht immer liegt der Verweigerung eine körperliche Beeinträchtigung zugrunde. „Manche Bewohner spucken Tabletten auch wieder aus, weil sie sie für einen Krümel oder einen Apfelkern oder Ähnliches halten“, erzählt Schulz. „Gerade bei an Demenz erkrankten Bewohnern ist das ein Problem. Es ist nicht so, dass sie nicht wollen, sondern es kognitiv nicht mehr umsetzen können.“ Die Lösung sind andere Darreichungsformen wie Tropfen oder Säfte.
Nicht für jedes Medikament gibt es verschiedene Darreichungsformen
Dr. Alina Enache ist die fest angestellte Hausärztin im Sanatorium West. Sie ist Expertin darin, bei Bedarf andere Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff – dafür aber in einer anderen Darreichungsform – zu finden. Enache erklärt: „Viele Wirkstoffe gibt es heute zusätzlich auch als Tropfen, Zäpfchen oder Spritzen. Auch Sprays gibt es für manche Indikationen.“ Dabei existieren längst nicht für jedes Medikament verschiedene Darreichungsformen. Immer noch müssen viele Tabletten zerteilt oder gemörsert werden, um sie etwa unter das Essen zu mischen. Das kostet Zeit.
Neue Entwicklungen von alternativen Darreichungsformen kommen in der Regel von Arzneimittel-Herstellern. Sie stellen sich zunehmend auf die älteren Patienten ein. Die Entwicklung steht indes am Anfang. Gerade in Deutschland gibt es noch einiges zu tun – damit Patienten auch im höheren Alter gut versorgt sind.
Altersgerechte Darreichungsformen und Festbetragsgruppen
In einer immer älter werdenden Gesellschaft sind innovative Darreichungsformen von besonderer Bedeutung. Zu nennen sind hier beispielsweise spezielle Zubereitungen für ältere Menschen, die unter Schluckstörungen leiden. Jedoch hemmen viele sozialrechtliche Regelungen die Entwicklung und anschließende Herstellung entsprechender Darreichungsformen.
Grund hierfür sind unter anderem Festbeträge. Was sind Festbeträge? Gesetzliche Krankenkassen erstatten in vielen Fällen nur einen vom GKV-Spitzenverband festgelegten Betrag. Ist das Arzneimittel teurer als der Festbetrag, müssen Patienten in der Regel eine Aufzahlung zusätzlich zur gesetzlichen Zuzahlung leisten.
Ein Grundproblem liegt in der Festbetragsgruppenbildung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) legt fest, in welche Festbetragsgruppe ein Arzneimittel fällt. In vielen Fällen fasst der G-BA unterschiedliche Darreichungsformen, beispielsweise Tabletten und Säfte, in einer Festbetragsgruppe zusammen, ohne jedoch die aus Patientenperspektive notwendige Differenzierung vorzunehmen. Unberücksichtigt bleibt zudem, dass die Herstellung flüssiger oraler Darreichungsformen deutlich aufwendiger ist als die Herstellung fester oraler Arzneiformen.
Bildet der G-BA nun einen gemeinsamen Festbetrag für die beiden Darreichungsformen Tablette und Saft, so orientiert sich dieser zwangsläufig am niedrigeren Preis der festen Darreichungsformen. Die Folge davon ist, dass aufwendiger zu produzierende Darreichungsformen nicht mehr kostendeckend zur Verfügung gestellt werden können. Diese Arzneimittel sind dann für Patienten nicht mehr erhältlich. Diese haben dann letztendlich das Nachsehen.